Oremus pro Pontifice nostro Franzisco.

Dominus conservet eum et vivificet eum

et beatum faciat eum in terra et

non tradat eum in animam inimicorum eius.

Sonntag, 17. Juni 2012

mehr zu den Milieus (erstmal allgemein)

Wie Vincentius Lerinensis schon im Kommentar zum letzten Post anmerkt: "die eigentlich Aussage der Studie ist weniger, daß die neueren Milieus keine Andockmöglichkeit in der gegenwärtigen Kirche finden, sondern (wieder rein deskriptiv), daß sich nur bestimmte Milieus überhaupt noch für die Kirche interessieren" und "die Milieus folgen nicht aufeinander, sondern stehen nebeneinander. Daß die neueren Milieus in den jüngeren Generationen stärker vertreten sind, liegt natürlich in der Natur der Sache, aber heißt weder, daß nicht auch Ältere in diesen Milieus vertreten sind und Jüngere in den anderen Milieus".

Das zweite zuerst: Genauso ist es. Alle beschriebenen Milieus sind zum Zeitpunkt der Studie existent und ihnen zuordenbar sind Menschen verschiedensten Alters. Die Schwerpunkte bei der Verteilung liegen allerdings bei den entsprechenden Altersgruppen. Das ist wohl ein wenig wie die schöne kugelförmige Aufenthaltswahrscheinlichkeit des Elektrons beim Wasserstoffatom: das Elektron befindet sich innerhalb auf dem Radius der Kugel und eventuell auch außerhalb oder innerhalb davon. Aber vereinfacht lässt es sich besser darstellen.

Die Milieus sind Zustandsbeschreibungen, keine Festlegungen. Menschen bewegen sich in und durch Milieus und können sie wechseln, wenn sich ihre Interessen und Überzeugungen ändern. Die Zustandserhebung zum Studienzeitpunkt hat als Momentaufnahme eine vorübergehende Verteilungswahrscheinlichkeit ermittelt.

Nun zum ersten Kritikpunkt. Genauso wurde mir das schon zweimal vorgestellt: "Die Milieus x und y werden von der Kirche nicht erreicht, weil diese für sie uninteressant ist. Wir sollten eventuell Leute finden, die spezielle Angebote für diese Gruppen machen, die ihnen entgegenkommen. Wäre das nicht eine Aufgabe für die neue geistliche Gemeinschaft xyz?" - An dieser Stelle bekomme ich dann die virtuellen Bauchschmerzen, weil das für viele hinausläuft auf ein "lasst jeden seine eigene Kirche bauen, Hauptsache sie fühlen sich wohl drin".

Die Tatsache ist aber, dass jeder, gleich in welchem Milieu, eine Bekehrung zum Glauben nötig hat. Nur stehen dieser Bekehrung je nach Milieu verschiedene Hindernisse im Weg. Ob nun bei "Traditionsbewussten" ein "damit brauche ich mich nicht auseinanderzusetzen, ich gehöre sowieso dazu" oder bei den "Hedonisten" das "ich weiß genau, dass die Kirche mich und meinen Lebensstil verurteilt - so pharisäisch will ich nicht sein" oder die "bürgerliche Mitte" mit "ich hätte gerne harmonische nicht-moralisierende und unterhaltsame Rundumversorgung" oder diese engagierte Truppe, die meint die Kirche solle bitteschön die Basis für ihre Selbstverwirklichung liefern. Alle diese Haltungen stehen einer persönlichen  Bekehrung arg im Weg.

Jede der beschriebenen Gruppen ist ein Missionsfeld. Tragisch ist, dass die Gemeinschaft der Glaubenden durchaus attraktiv, sinnvoll und begehrenswert für jedes dieser Milieus sein kann, aber dass diese Tatsache derzeit dadurch verdeckt wird, dass 2-3 Milieus das Außenbild derart prägen, dass die, die anderen Milieus angehören, kaum oder gar nicht erkennen können, dass ihnen ein vollkommen falsches Bild dieser Gemeinschaft präsentiert wird, die für sie essentiell sein könnte.

Die allgemein verbreitete Interpretation der Studie ist (natürlich) soziologisch geprägt und vieles wird durch die Brille eines bestimmten Milieus gesehen. Unabhängig davon werden in der Studie aber auch objektive Beobachtungen gemacht. Wenn diese richtig genutzt würden, würde sich ein gewaltiges Potential eröffnen. - Ich bin kein Soziologe, Pädagoge, Psychologe oder was auch immer. Für mich ist die Darstellung der Studie wie die Doppelseite im Atlas, die mir in der mündlichen Prüfung in Erdkunde plötzlich vorgelegt wurde. Ich hatte keine Ahnung von den Anliegerstaaten des Aralsees, aber ich habe die Karten auf den zwei Seiten so in alle Richtungen durchinterpretiert, dass es die beste Prüfung des Jahrgangs wurde. - Im konkreten Fall kenne ich Leute aus den meisten Milieus und gehöre selbst recht eindeutig zur Untergruppe "Experimentalisten".  Die deutsche Kirche hätte mich, wie sie ist, nie erreicht, das war so etwas von abschreckend. Aber genau darum weiß ich, dass das Bild, das die Kirche da bietet, nicht der Wahrheit entspricht. Mich persönlich hat es erfreut, endlich eine Art Beweis zu haben, definitiv kein Konservativer oder Traditionsbewusster zu sein. Nicht weil ich etwas gegen diese Milieus hätte; ich gehöre da nur nicht hinein und verabscheue es, dahin sortiert zu werden. Mein Blickwinkel auf die Fakten dieser Studie ist daher ein völlig anderer als der von jemandem aus der "Bürgerlichen Mitte". Ich sehe brach liegendes Land, wo diese unerreichbare Gegenden kartographiert haben.

Man muss in vielen Feldern die Frage stellen: Was heißen denn die Beobachtungen dieser Studie in Bezug auf die eine oder andere verbreitete Meinung?
Das Material an sich ist gut. Die richtigen Fragen dazu scheinen bisher zu fehlen, die es fruchtbar machen. Ein Grund kann sein, dass die Erkenntnis des eigenen Milieus bisherige Ansichten des Einzelnen, die ihm unverrückbar und eindeutig erschienen, in Frage stellt.
Ein guter Ansatzpunkt für eine Nutzung des Materials scheint mir die Übersicht der "do"s und "don't"s für die einzelnen Gruppen sein. Denn die sind hilfreich, um mit den jeweiligen Milieus ins Gespräch kommen zu können, ohne sofort durch unglückliche Wort- oder Vorgehenswahl Vorurteile gegeneinander zu zementieren.

Und zu allermindest kann ich durch ein Diskutieren des Themas für andere Interessierte ein paar Informationen und Anregungen über das Internet verfügbar machen.

Die angeblich von der Kirche unerreichbaren Gruppen sind sehr wohl erreichbar, und die Materialsammlung der Studie könnte dabei helfen.

2 Kommentare:

  1. Wenn ich mich mal ohne hinderliche Sachkompetenz selbst soziologisiere, dann bin ich bildungsmäßig in Kategorie 2 zuhause. Bei der anderen Einteilung wirds schon problematischer. Ich bin Mittel-Experimentalist, aber Methoden-Tradi/Konservativ.

    Zu deutsch ich habe keine Berührungsängste mit moderner Technik, aber im nicht-naturwissenschaftlichen Bereich, gerade im gesellschaftspolitischen/pädagogischen Bereich bin ich konservativ bis traditionell, denn dort sind m.E. echte Erkenntnisse nur schwer verifizierbar. Denken wir an die für mich nicht wirklich wissenschaftlichen "Erkenntnisse" in der Gender-Ideologie, der Pädagogik (wobei ich hier nicht den Bereich meine, der erforscht, wie ein Mensch Informationen aufnimmt und lernt, sondern den, der meint am besten zu wissen, wie man unterrichtet ohne auf erstgenannte Forschung zurückzugreifen) etc. pp. Wäre alles so falsch was die Menschheit die letzten 3000-5000 Jahre gemacht hat, warum hat sie dann überlebt? Die Auswirkungen "moderner" Erkenntnisse sieht man in der Politik Deutschland/Europa/die westliche Welt schafft sich ab, und schaut ein halbes Dutzend auf Endlosschleife gesendete Dokus auf den Nachrichtensendern, wie die Erde sich ohne den Menschen vom Menschen erholt, man macht sich ein Bier auf und jubelt, wenn endlich das letzte sichtbare Zeichen der Zivilisation vom Grün überwuchert wurde.

    The History of the Decline and Fall of the Roman Empire von Gibbon war im British Empire eine Lektüre der Gebildeten als Warnung, wie man eine Hochzivilisation zugrunderichten kann. Als der Stand der Equites und Senatoren mehrheitlich opportunistisch und nicht mehr konservativ-idealistisch war, ging das weströmische Reich zugrunde, auch wenn der Tod noch Jahrhunderte und vermeindliche Blüten andauerte.

    Um auf die Kirche zurückzukommen, in der mehrheitlichen Außendarstellung haben wir den Kindergärtner-Pfarrer im Räuberzivil oder Mantelalbe mit überbreiter Stola, der ganz gut ankäme, wenn er nicht in den höheren Etagen bis zur Chefetage in Rom, lauter Status-Quo-liebende Verhinderer seines Wirkens hätte.

    Nach innen hat dieser Priesterkreis die Seelsorge aufgrund der unangenehmen Themen abgeschafft und eine sozialpädagogische / psychotherapeutische Befindlichkeitssorge statt dessen eingeführt. Deswegen wird jede neue Mode in der Mediation und den Managementseminaren ungeschrieben, bis man sie mit Kindern in der Messe ausprobieren kann statt einer echten Katechese.

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  2. Ich sehe, wir sind uns eigentlich einig :-) Allerdings ist der Schluß aus der Beschreibung, bestimmte ästhetische Milieus (eigentlich fast alle bis auf ein paar) interessieren sich nicht für die Kirche, auf die Folgerung, wir müssen spezifische Angebote für jedes Milieu machen, nicht nur nicht zwingend notwendig, sondern sogar theologisch falsch (wie Du eben sagst: da kommen am Ende lauter Grüppchen zustande, die miteinander nichts mehr anfangen können; im Leib Christi gibt es aber nicht mehr Juden und Griechen usw.).

    Wie ich im Kommentar zum anderen Post schon angedeutet habe, geht das auch völlig an der Zielrichtung und Aussageabsicht vorbei, für die die Sinus-Milieus geschaffen wurden. Da geht es eben um die ästhetische Gestaltung von Werbung -- mit der Absicht, Leute mit allen Mitteln (bis hin zu Manipulation wie Wecken eigentlich nicht vorhandener Bedürfnisse) dazu zu bringen, ein bestimmtes Produkt zu kaufen.

    Wenn das unser Verständnis von Mission wäre, dann könnten wir uns eigentlich einsargen, weil Inhalt und Vermittlung der Botschaft einander widersprächen. Ganz davon abgesehen, daß wir eben (s.o.) ein "Produkt" haben, das (nach unserem Selbstverständnis) für alle Menschen gleich wichtig ist. Der Rest (Ästhetik) bewegt sich auf der Ebene von Frömmigkeitsformen (so sehr ich Eucharistische Anbetung mag, so wenig kann ich z.B. mit der Nightfever-Ästhetik anfangen, aber sei's drum, der Herr ist auch gegenwärtig, wenn mir die Ästhetik nicht zusagt [hat da einer Karl-Rahner-Haus gesagt? :-)]).

    Um auch mal was Positives zu sagen: Ein besserer Schluß aus der Beschreibung des Ist-Zustandes wäre, daß wir Leute brauchen, die ästhetisch in den eher schlecht erreichten Milieus beheimatet sind, denn die wissen am Besten, womit sie die Leute in ihrem Milieu (auch ästhetisch) ansprechen können, ohne daß es auf Aufgesetztheit, Heuchelei oder Manipulation hinausläuft.

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